Neue Materialien mit genau gesteuerten optischen und thermischen Transporteigenschaften können einen großen Beitrag für ein ressourcenschonendes Wärmemanagement leisten. Diese Vision verfolgen Wissenschaftler der Universität Bayreuth. Sie nutzen die Infrarotthermografie, um die Wärmeleitfähigkeit in nano‐ und mesostrukturierten Polymermaterialien quantitativ zu bestimmen.
Wärmeleitung und Wärmestrahlung sind essentielle Transportmechanismen, die bei der Auslegung von kleinsten Mikrochips bis hin zu vollständigen Gebäuden eine tragende Rolle spielen. Ihre Steuerung erfordert ein ausgeklügeltes Materialdesign, das bis in den Nanometerbereich vordringt. Prof. Markus Retsch und sein Team vom Lehrstuhl für Physikalische Chemie 1 der Universität Bayreuth beschäftigen sich mit der Entwicklung und Charakterisierung derartiger innovativer Materialien. Moderne Kühlsysteme und Klimaanlagen benötigen noch immer eine externe Energiezufuhr. Die Kühltechnologie der Zukunft soll jedoch ohne zusätzliche Energie auskommen. Dafür sind Materialien notwendig, die Wärme selektiv abstrahlen. Das kann z. B. bei klarem Wetter sein, wenn die Abstrahlung in den sehr kalten Weltraum durch das sogenannten „Himmelsfenster“ im langwelligen Spektralbereich von 8 … 13 μm, in dem die Atmosphäre transparent ist, erfolgen kann. „Dieser Prozess heißt passive Kühlung“, erklärt Prof. Retsch, „und erfordert Materialien, die dort spektral selektiv Wärmestrahlung abgeben, jedoch durch Reflexion in anderen Bereichen möglichst keine Energie von der Sonne aufnehmen.“
University of Bayreuth
Lehrstuhl für Physikalische Chemie
Wärmebildkamera
VarioCAM® HD research 800
Auf dem Weg hin zu solchen passiven Kühlmaterialien ist das Verständnis des Wärmeleitungsvorgangs wichtig. Hierfür arbeitet die Gruppe von Prof. Retsch mit freistehenden Proben beispielsweise aus dünnen Polymerfolien, 3D‐Drucken und Fasermatten mit einer Filmdicke von nur wenigen Hundert Mikrometern. Untersucht werden diese Proben mit dem Ziel, deren thermische Diffusivität richtungsabhängig zu bestimmen. Mithilfe dieser Größe und unter Einbeziehung der spezifischen Wärmekapazität und Dichte der Probe lässt sich die entsprechende Wärmeleitfähigkeit berechnen.
Im Rahmen der Analysen werden die jeweiligen Messobjekte durch einen intensitätsmodulierten Laser angeregt. Je nach Eigenschaften der Probe breitet sich der induzierte Wärmefluss unterschiedlich weit im Material aus (siehe Abb. 1). Die gesamte Messung steuern die Wissenschaftler über die Thermografiesoftware IRBIS® 3 active. Die von ihnen genutzte Wärmebildkamera VarioCAM® HD research 800 von InfraTec detektiert die emittierte Infrarotstrahlung, deren Intensität mit der Lock‐in‐Modulationsfrequenz des Lasers schwankt.
Von Interesse für die Untersuchungen sind in erster Linie die positionsabhängige Änderung der Phase und Amplitude der emittierten thermischen Welle. „Die Messmethode der Lock‐In‐Thermografie erfordert in unserem Fall ein Detektorformat, das groß genug ist, um auf derart kleinen Objekten positionsabhängig messen zu können. Nur so können wir die thermische Welle präzise erfassen.“, sagt Prof. Markus Retsch. Daher kombiniert er das Detektorformat der VarioCAM® HD research 800 von (1.024 × 768) IR‐Pixeln mit einem Close‐up‐Objektivvorsatz 0,5x für ein 30 mm‐ Objektiv.
Abb. 2 Materialien wie z. B. Kapton‐Folien weisen eine anisotrope thermische Diffusivität auf. Die gestrichelte Linie stellt die Fit Ellipse dar. Die Probe A2 ist relativ zu Probe A um 90° gedreht. Die Anisotropie bleibt erhalten und ist kein Messartefakt.
Abb. 3 Amplitudenbild (links) und Phasenbild (rechts) zeigen die Temperaturverteilung auf der Oberfläche der Kapton‐Folie. Die Folie wird von der Rückseite periodisch mit einem linienförmigen Laser erhitzt. Amplitude und Phase wurden mit der Thermografiesoftware IRBIS® 3 active von InfraTec berechnet. Eine selbst entwickelte Analysesoftware findet automatisch den Linienlaser (weiße Linie) und reduziert die 2D‐Bilddaten auf ein 1D‐Profil senkrecht zur Laserlinie.
Abb. 4 In den Diagrammen sind die linearisierten Amplitudenpixel (erstes) und Phasenpixel (zweites) als Funktion des Abstandes von der Laserlinie dargestellt. Aus den Steigungen im linearen Bereich ermitteln die Wissenschaftler um Prof. Markus Retsch die thermische Diffusivität der Proben.
Neben der geometrischen spielt zusätzlich die thermische Auflösung eine große Rolle. Je nach Material können temperaturabhängige Phasenübergänge auftreten, welche die Messung negativ beeinflussen. Durch Messung mit kleinen thermischen Anregungen können solche Fehler vermieden werden. Dafür wird jedoch eine Temperaturauflösung unter 100 mK benötigt.
Allgemein ist das Thermografiesystem Teil einer individuell konfigurierten Messumgebung. Die Gruppe von Prof. Retsch nutzt eine eigens entwickelte Vakuumkammer, die das Einkoppeln eines Lasers erlaubt. Gegenüber des Laser-Einkoppelfensters ist ein IR-transparentes Fenster in die Kammer eingebracht, um die Probe mithilfe der Wärmebildkamera vermessen zu können. Das Verfahren der Lock-In-Thermografie und eine auf der Mikrobolometertechnologie basierte Wärmebildkamera lassen sich hier leicht miteinander kombinieren. Da es sich bei der Kamera um ein handgehaltenes Universalmodell handelt, eröffnen sich für Prof. Markus Retsch und sein Team weitere Anwendungsmöglichkeiten für andere Aufgabenstellungen.
Derzeit liegt der Fokus auf der Arbeit mit nano- und mesostrukturierten polymeren Systemen. Prof. Markus Retsch möchte das Forschungsfeld Wärmemanagement erweitern und neue Impulse für innovative Kühltechniken liefern. „Mithilfe des gesamten Untersuchungsdesigns können wir für freistehende, dünne Filme quantitativ die Wärmeleitfähigkeit entlang verschiedener Richtungen bestimmen. Diese komplementäre Information ist wichtig, um den Wärmetransport in anisotropen Proben ganzheitlich zu verstehen. Nur damit können wir zuverlässig neue Materialien, zum Beispiel für den Einsatz in passiver Kühlung, entwickeln und verbessern.“ Insbesondere der individuelle Beitrag der Wärmeleitfähigkeit sei nur schwer mit anderen Methoden bestimmbar.